Theoretische Perspektiven und empirische Befunde
Kollektive Emotionen sind fester Bestandteil des gesellschaftlichen Miteinanders. Sie werden offenbar in Gruppen, Ritualen und als Reaktionen gegenüber bedeutenden Ereignissen und motivieren individuelles wie kollektives Handeln. Sie stiften sozialen Zusammenhalt und markieren gleichsam Abgrenzung und Konflikt. Trotz dieser Relevanz sind kollektive Emotionen bislang nur spärlich theoretisiert und bleiben als Konzept vage, sowohl mit Blick auf ihre Entstehung als auch hinsichtlich ihrer sozialen Konsequenzen. Dieser Vortrag entwickelt zunächst ein theoretisches Verständnis kollektiver Emotionen als Synchronisation des affektiven Erlebens mehrerer Akteure gegenüber einem spezifischen Objekt oder Ereignis unter der Bedingung des wechselseitigen Gewahrwerdens dieses Erlebens. Aufbauend auf Erkenntnissen zur sozialen und kulturellen Konstruktion von Emotionen entfalte ich erste theoretische Überlegungen zur Entstehung kollektiver Emotionen aus drei Perspektiven: der face-to-face Interaktion, kultureller und sozial geteilter Wissensbestände sowie sozialer bzw. kollektiver Identität. Dabei werde ich Stärken und Schwächen dieser Perspektiven diskutieren und auf konzeptuelle Überschneidungen hinweisen, um einige soziale Mechanismen zu entwickeln, die zur Erklärung des Entstehens kollektiver Emotionen basierend auf sozialen Kognitionen, expressivem Ausdrucksverhalten sowie symbolischer Ordnungen beitragen. Schließlich werde ich Ergebnisse einiger empirischer Studien präsentieren, die im Sinne der postulierten Mechanismen interpretierbar sind.
Christian von Scheve
Christian von Scheve ist Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsfeldern gehören Mikrosoziologie, Soziologie der Emotionen Sozialpschologie, Ökonomische Soziologie und Science und Technlogy Studies. In seinen emotionssoziologischen Arbeiten untersucht von Scheve sozial geteilte Gefühlsmuster, sowohl als affektive Dispositionen als auch als kurzlebige kollektive Emotionen, und deren Rolle in sozialen Gruppen. Zum Thema kollektive Emotionen verantwortete er u.a. folgende Publikationen: (Mithg). Collective Emotions. New York: Oxford University Press, 2014; Emotion and Social Structures. The Affective Foundations of Social Order. New York: Routledge, 2013 [deutsch: Emotionen und soziale Strukturen. Die affektiven Grundlagen sozialer Ordnung. Frankfurt am Main/New York: Campus, 2009]; (Mithg.) The Routledge Handbook of Emotions and Mass Media. London/New York: Routledge, 2010.
Kolloquium Kollektive Emotionen
Prof. Dr. Christian von Scheve (Freie Universität Berlin)
Prof. Dr. Joachim Eibach (Universität Bern)
Lic. phil. Marc Keller (Kontakt IASH)
Datum: 27. März 2015
Zeit: 09:15 - 16:45 Uhr
Ort: Universität Bern, Unitobler, Lerchenweg 36, Raum F -114
Für Doktorierende und fortgeschrittene Masterstudierende der Universität Bern
Joachim Eibach
Joachim Eibach ist Dozent für Neuere und Neuste Geschichte an der Universität Bern. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Die Geschichte von Haus und Familie als Kommunikationsraum (epochenübergreifend); Die Geschichte kollektiver männlicher Gewaltpraktiken (epochenübergreifend);Bürgerlichkeit und Protestpraxis in der Schweiz (1830-1850); Interkulturelle Wahrnehmungen um 1800 (insbes. Alexander von Humboldt).