Geopolitik
Raumtheorien sind im Gefolge des geopolitischen Denkens im Dritten Reich gründlich diskreditiert worden. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass der sogenannte "spatial turn" in Deutschland erst um die Jahrtausendwende herum aufgegriffen worden ist, etwa durch Sigrid Weigel oder Karl Schlögel. Anderseits schien die Raumdimension in den Medienkulturwissenschaften kaum mehr benötigt zu werden, war man doch überzeugt, dass die neuen Medien und die neuen globalen Verkehrsnetze den Raum "annihilieren" oder zumindest "bagatellisieren". Wozu noch Raum, wenn es keinen Unterschied mehr macht, von wo aus ein Nutzer im Netz surft? Im Zuge dieser Entwicklung hat selbst noch die Geographie Versuche unternommen, sich vom Erdraum als Kategorie zu verabschieden. Zu diesen Geographen zählt Helmut Klüter.
Mein Vortrag greift eine Kritik Klüters an der systemtheoretischen, germanistischen und medienwissenschaftlichen Konzeptionierung des Raums auf, die den Medienkulturwissenschaften eine Reontologisierung oder Essentialisierung vorwerfen. Wer den Raum bedenkt, betreibe Metaphysik. Ich werde diese Kritik nutzen, um exemplarisch zwei Möglichkeiten einer kulturwissenschaftlichen Raumtheorie miteinander zu vergleichen und gegeneinander zu profilieren: Niklas Luhmanns Systemsoziologie und Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie. Mein Ziel ist es, die Kategorie des Raums für die Medienkulturwissenschaften zu retten.
Niels Werber
Niels Werber, Jahrgang 1965, lehrt Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. Im Sommersemester 2011 war er Fellow am Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlage der Integration“ der Universität Konstanz. Im Sommer wird im Fischer Verlag seine Studien über Ameisengesellschaften. Eine Faszinationsgeschichte erscheinen. Arbeitsschwerpunkte: Geopolitik der Literatur. Medien und Selbstbeschreibungen der Gesellschaft. Soziale Insekten. Zuletzt erschienen: Systemtheoretische Literaturwissenschaft, Begriffe – Methoden – Anwendungen (2011). Niklas Luhmann: Schriften zu Literatur und Kunst (2008, herausgegeben), Geopolitik der Literatur. Eine Vermessung der medialen Weltraumordnung (2007); "Jüngers Bienen", in: Deutsche Zeitschrift für Philologie (Heft 2, 2011), "Ameisen und Aliens: Zur Wissensgeschichte von Soziologie und Entomologie", in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte (Heft 3, 2011).
Kolloquium Geopolitik
Prof. Dr. Niels Werber, Universität Siegen
Prof. Dr. Barbara Buchenau, Universität Bern, jetzt: Duisburg Essen
Datum: 29. März 2012
Zeit: 09:15 - 16:30/17:45 Uhr
Ort: Universität Bern, UniS, Schanzeneckstrasse 1, Raum A017
Barbara Buchenau
Barbara Buchenau is Professor of North American Studies: Literary and Cultural Studies. Her teaching and research is concerned with the fields of cultural theory, cultural history, multilingual early Americana, historical forms of popular culture, multiculturalism and contemporary literature. She is also interested in Canadian and Caribbean literature. In her teaching she addresses questions of genre, the status of non-fictional literature and the collaboration of literature with the lively arts and the entertainment industry. Asking for the uses of literature, she encourages students to explore the ability of literature and cultural products to shape the lives of those involved in its production and consumption. In her research she investigates three areas in particular: the so-called “postracial turn” in recent North American writings, the diverse forms of literary and cultural transfers and exchanges informing literary production in North America, and the cultural and political work of stereotypical and typological representations of minority groups in texts, maps and visual art. Before joining the faculty of Duisburg-Essen, she was Assistant Professor (Assistenzprofessorin) of Postcolonial Literary and Cultural Studies at the University of Bern in Switzerland.