Wahrnehmung
»Ein Bild sagt mehr als tausend Worte«, heißt es. Worin könnte die hiermit unterstellte, besondere ›Sagkraft‹ der Bilder gründen? Wie sind epistemische Gehalte denkbar, die sich ganz oder teilweise einer sprachlichen Vermittlung entziehen, ja: die angewiesen sind auf genuin bildlich-anschauliche, nicht-sprachliche Zugangsweisen? Nicht zuletzt der pictorial turn hat uns gelehrt, dass Bilder mehr sein können als bloß denotative Zeichen oder reine Illustrationen, dass sie vielmehr als zentrale Instrumente von Erkenntnisgewinnung in Betracht kommen. Der kompetente Umgang mit ihnen gehört zu den intellektuellen Leistungen, auf die ein Betrachter eingestellt sein muss, um nicht aus der Ordnung produktiver Bilddiskurse herauszufallen. Ein immer stärker auf Antworten drängendes Interesse an der Frage, gespeist auch von einer sich den Bildern zuwendenden philosophischen, naturwissenschaftlich-psychologisch belehrten Erkenntnistheorie, wie Bilder Bedeutung und Sinn haben und ausdrücken können, bezeugt den wachsenden Stellenwert, den man Bildern einzuräumen bereit ist und der weit über die Kunstgeschichte hinausweist. Auf welche besondere Weise also, mit welchen medialen Möglichkeiten und auf der Basis welcher kognitiven Funktionen kommt die Macht von Bildern zustande? Diesen Fragen geht der Vortrag mit Blick auf die neuen Erkenntnisse zu den Wahrnehmungsformen von Kunstwerken ein und fragt danach, ob sich die explizite Expertise des Künstlerwissens mit einer naturwissenschaftlichen Auffassung über die visuelle Wahrnehmung in Einklang bringen lässt? Der Vortrag führt zugleich in Fallstudien in die Geschichte der Wahrnehmung und in die Probleme, Methoden und Perspektiven der modernen Wahrnehmungsanalyse von Kunstwerken ein.
Christoph Wagner
Christoph Wagner ist seit 2007 Ordinarius auf dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Regensburg und seit 2009 gewähltes Mitglied der Academia Europaea (London). Studium in Saarbrücken, München und Wien. 1993 Promotion. 1996 Preis der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. 2004 Habilitation. 2008 Directeur d’études an der Ecole Pratique des Hautes Etudes (Sorbonne, Paris) und Mitglied im Elitenetzwerk Bayern. Zahlreiche Publikationen zur Kunst und Kunsttheorie der Neuzeit und der Moderne: Farbe und Metapher (1999); Johannes Itten (2002); Das Bauhaus und die Esoterik (2005); Regensburger Studien zur Kunst–geschichte; Bd. 1-14 (2008ff.); Itten, Gropius, Klee am Bauhaus in Weimar. Utopie und historischer Kontext (2011).
Kolloquium Wahrnehmung
Prof. Dr. Christoph Wagner, Universität Regensburg
Datum: 3. März 2011
Zeit: 09:30 - 16:30 Uhr
Ort: Universität Bern, UniS, Schanzeneckstrasse 1, Raum A017